Ängste der Deutschen in der Corona-Krise

Leere Straßen, verwaiste Büros und Geschäfte, ein Leben auf Distanz: Wie haben sich die Ängste der Deutschen in Zeiten von Corona verändert? Anfang April hat das Infocenter der R+V Versicherung in einer repräsentativen Umfrage 1.075 Bürger befragt.

Seit fast 30 Jahren untersucht das R+V-Infocenter in der Langzeitstudie „Die Ängste der Deutschen“ im Sommer die Sorgen der Bundesbürger rund um Politik, Wirtschaft, Umwelt und Gesundheit. Für die aktuelle Sonderbefragung hat die R+V vier Fragen ausgewählt, die in der Corona-Krise große Bedeutung haben. Steigt durch die hohen Infektionsraten die Angst vor einer schweren Erkrankung? Befürchten jetzt mehr Menschen eine Rezession? Wie groß ist die Angst vor dem Verlust des eigenen Jobs? Wie beurteilen die Deutschen die Arbeit der Politiker? „Uns hat in dieser Ausnahmesituation besonders der Vergleich zum vergangenen Sommer interessiert – zu einer Zeit, in der sich kaum jemand eine solche Pandemie hätte vorstellen können“, sagt Brigitte Römstedt, Leiterin des R+V-Infocenters.

Angst vor einer Talfahrt der Wirtschaft steigt massiv

Sprunghaft gestiegen ist die Angst vor einer Verschlechterung der Wirtschaftslage in Deutschland. Sie klettert um 23 Prozentpunkte auf 58 Prozent – und damit auf den höchsten Wert seit zehn Jahren. 2010 hatte die Finanzmarktkrise die Angst vor einer Rezession in die Höhe getrieben. Dazu Professor Dr. Manfred G. Schmidt, Politikwissenschaftler an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und seit vielen Jahren Berater des R+V-Infocenters: „Die Sorgen sind begründet. Der Wirtschaftsabschwung, der in Deutschland 2020 zu erwarten ist, übertrifft höchstwahrscheinlich die Wirtschaftskrise von 2009. Damals schrumpfte die Wirtschaftsleistung in Deutschland um 5,6 Prozent. Diesmal könnte der Absturz tiefer gehen – wenn die Corona-Pandemie länger dauert.“

Bemerkenswert: Frauen (61 Prozent) beurteilen die Aussichten für die deutsche Wirtschaft skeptischer als Männer (54 Prozent). Jüngere Befragte bis 30 Jahre (51 Prozent) sind in dieser Frage hingegen etwas optimistischer als die ältere Generation (59 Prozent).

Verhaltene Reaktion auf Arbeitslosigkeit

Die Angst, arbeitslos zu werden, bleibt im April 2020 auf dem relativ niedrigen Niveau des Vorjahres. Etwa jeder vierte Bundesbürger (24 Prozent) bangt um den eigenen Job. Allerdings gilt hier: je jünger, desto besorgter. Bei den unter 30-Jährigen ist diese Angst mit 36 Prozent am höchsten. Auch Frauen (28 Prozent) fürchten sich mehr vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes als Männer (21 Prozent).

„Der Wirtschaftsabschwung trifft einen größeren Teil des Arbeitsmarktes mit voller Wucht. Deutschland hat aber zwei starke ‚Medikamente‘ zur Linderung der Schäden verabreicht“, sagt Professor Schmidt. „Das Kurzarbeitergeld schützt mehrere Millionen Arbeitnehmer vor Entlassungen. Linderung verschafft zudem auch das Hilfspaket der Bundesregierung in Höhe von mehreren hundert Milliarden Euro für die Wirtschaft – ob für große, mittlere oder kleine Betriebe.“ Ergänzend dämpft ein dritter Mechanismus die Sorgen, erklärt der Politikwissenschaftler: „Ein Teil der Beschäftigten ist gegen den Wirtschaftseinbruch geschützt. Das sind insbesondere die Mitarbeiter in den sogenannten systemrelevanten Berufen, wie im Gesundheitswesen und im staatlichen Sektor bei Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen.“

Ihren bisherigen Höchststand hatten beide Ängste in den Jahren 2004/2005, als während der schwachen Konjunkturlage in Deutschland viele Unternehmen massiv Stellen abbauten und die Arbeitslosenquote auf 11,7 Prozent kletterte.

Angst vor Krankheit bei Alt und Jung

Die Angst, schwer zu erkranken, ist in der Corona-Krise leicht gestiegen – um sechs Prozentpunkte auf 41 Prozent. „Bemerkenswert ist allerdings, dass die Sorge in allen Altersgruppen in etwa gleich hoch ist“, sagt Römstedt. „Im Verlauf unserer Studie waren die jüngeren Befragten bis zum Alter von 30 Jahren bei dieser Frage bisher deutlich sorgloser als die Generation ihrer Eltern und Großeltern. Offensichtlich haben viele jüngere Menschen erkannt, dass Covid-19 nicht nur Ältere treffen kann.“ Traditionell sorgen sich Frauen mehr vor Krankheiten als Männer. So auch bei dieser Sonderumfrage: 46 Prozent der Frauen haben Angst vor einer schweren Krankheit – aber nur 36 Prozent der Männer.

Vertrauen in die Arbeit der Politiker

46 Prozent (2019: 47 Prozent) der Deutschen befürchten, dass die Politiker von ihren Aufgaben überfordert sind. „Das ist wie im vergangenen Jahr eine der besten Bewertungen für die Arbeit der Politiker in den vergangenen 20 Jahren“, erläutert Römstedt. „Während der Finanzmarktkrise und zuletzt in der Flüchtlingskrise bezweifelten mehr als 60 Prozent der Bürger, dass die Politiker die Lage in den Griff bekommen. Unter 40 Prozent lagen diese Werte im Verlauf der Umfrage bisher noch nie.“ Dass Deutschlands Politiker in Umfragen meist schlechte Noten bekommen, bestätigt auch Professor Schmidt: „Allerdings urteilen die Befragten jetzt etwas milder als in den Vorjahren, und viel milder als in der Finanzmarktkrise 2009. Das spiegelt vermutlich die Anerkennung des Krisenmanagements der Regierung in der Corona-Krise wider.“